Dmytro
Tschystjak (Übersetzer für die französische Sprache, Träger der
Förderpreises für Literatur, die von den französischen und kanadischen
Botschaften in der Ukraine gestiftet werden)
Rückkehr des intellektuellen Symbolismus?
„Galateas Garten". Die Fabel des
Werks ist scheinbar unkompliziert. Assar Janson war in Zeiten der deutschen
Besatzung ein Kolaborationist und später Deutschlehrer an einem Gymnasium in
Riga. Durch Anspielungen seiner Pflegerin, Schwester Irma und den Selbstmordes
seiner Lebensfreundin und Nachbarin im Altersheim, Martha Johansson, zur
Verzweiflung getrieben, zündet er dieses an und findet sich im Gefängnis
wieder. Die Komposition des Romans bilden dialogische Vernehmungen des
Gefangenen durch den Ermittler, der Alltag im Gefängnis von Assars Perspektive
aus, vor allem aber die Erinnerungen des Helden von der Kindheit an bis hin zum
grauen Alter. Diese erzählen von den Schrecken des Krieges und einem
„Aufenthalt in der Hölle" – dem Sommer (keinesfalls im Stil von Arthur
Rimbaud), welchen er mit Martha auf einem Bauernhof, genauer gesagt in einem
Garten, nicht weit von Riga entfernt, verbracht hat. Hinter dieser Fabel aber, die durch die Natur des
Konflikts und ungewöhnliche Toppen verwundert, entwickelt sich nicht nur eine interessante Kollision. Hinter
der Geschichte Assars, eines vom Kriegstraumata gezeichneten „überflüssigen
Menschen", verbirgt sich eine Verachtung gegenüber der Welt, den Menschen und
der Fortpflanzung. Sie beschreibt die Unfähigkeit Seelenliebe zu empfinden und
die Neigung zu sinnlichen Liebe und bringt den Autor den nach Ideen suchenden
Schriftstellern und Philosophen des Existentialismus näher. (In
nicht-religiöser Ausrichtung, vor allem mit dem Thema der Kunst in „Der Ekel"
von Jean-Paul Sartre und den Motiven der Liebe in « Der Fremde »
von Albert Camus.) Der Mensch ist also: lebender Toter, (dargestellt in Gestalt
der Gestapo), Blinder (nicht umsonst werden im Text „Die Blinden" von Maurice
Maeterlinck erwähnt), der Konformist-Philister (Schwester Irma, der Ermittler
am Anfang des Romans), Opfer (des Krieges, des menschlichen Aberglaubens, der
inneren Gegensätze), der nur vereinzelt Aufständischer, der nach Freiheit
strebt (Assar), oder natürlicher Harmonie (Martha, Pastor Anssis). Die
klassische Kollision des psychologischen Dramas, in bester Tradition von Olga
Kobyljanska, Stefan Zweig, Virginia Wulf, Max Frisch… Dabei ist zu beobachten:
Der Dokumentalismus, der der Meister des Naturalismus würdig ist, die von den
Impressionisten geehrte Suggestivität des „Seelenbildes", den modernistischen Bewusstseinsfluss
und die transzendentale Objektivität (E. Husserl). So eine Dichte von
Einflüssen spricht für die Belesenheit des Autors, für seine Neigung zu
postmoderner Synthese, mit ihrer Intellektualisation, Neomythos und einer
Vielzahl an Intertexten und derer Kontaminationen. All dies verdient ein
vertieftes Lesen von Seiten des Rezipienten.
Versuchen wir mal die Essenz der Poetik
von „Galateas Garten" zu formulieren. Meiner Meinung nach bildet der
mythologische Symbolismus die Grundlage des Werks, welches somit in der
europäischen Tendenz zu Re-Mythologisierung der Literatur liegt. Neben den
aktuellen Autoren (der Autor ist vertraut mit der Norvegin Herbjørg Wassmu, der
Österreicherin Elfriede Jelinek, dem Briten Ian McEwan und mit der Türkin Leyla
Erbil…), spielen nicht zuletzt die Einflüsse des silbernen Alters, vor allem
die Prosa von Zinaida Gippius, Dmitri Mereschkowski und Andrej Bely, die
Philosophie „des Willens zum Leben" von Arthur Schopenhauer und die intuitive
Erkennung von Henri Bergson eine Rolle. Es versteht sich von selbst, dass die
Aufzählung der Namen bei weitem nicht vollständig ist und niemals ausgeschöpft
sein wird. Beim Lesen von „Galateas Garten" überzeugt man sich nochmals in der
Vorhersehbarkeit der Beobachtungen von Roland Barthes, über die Ewigkeit der
symbolischen Energie eines Textes während seiner Entstehung.
Wie gesagt, gerade die synkretistische
Betrachtung der Probleme auf unterschiedlichen Stufen der Verallgemeinerung
weckt Zweifel, gleichberechtigt aber auch gleichzeitig die verschiedensten
Ideen künstlerischer Richtungen und der Lebensphilosophien und hebt ethische
Grundsätze auf. Die Symbolik des Werkes ist inspiriert von der Auflösung des
Mikrokosmos im Makrokosmos und beschreibt umgekehrt – dank des Übergangs der profanen
Zeit in die sakrale Zeit – eine Zeit des Gartens, (Garten Edens, des Himmels
und der Erde, des Kosmoszentrums im Menschen und des Weltalls). Allerdings ist
der Mensch aus diesem goldenen Alter herausgefallen, er ist nicht im Stande,
sich der vergeistigten Natur anzugleichen. Seine Seele ist wie ein Vogel, der
bis ans Lebensende im Käfig des Körpers gefangen ist (wie soll man sich nicht
an „Der Weg und die Schwalbe" von Mykola Hwyljowy erinnern?), und die Sünden
des apokalyptischen Zeitalters hindern ihn daran, sich selbst im vollen Umfang
zu erkennen – und aufzuerstehen.
Der Mensch – nach Gottesebenbild geformt,
(wie die von Pygmalion geformte Afrodita – Galatea) bleibt einfach nur schöner
Lehm, weil ihm das hohe Göttliche verwehrt bleibt. Hierin liegt der bittere
Sarkasmus des Autors. Ebenfalls ambivalent ist der Begriff des Göttlichen -
Nietzsches „Gott ist Tod!" (und der beispielhafte Selbstmord des Pastor Anssis)
und Pantheismus (oder Heidentum) koexistieren im Roman. Das Göttliche kann man
in Assar und Martha durch das Konzept von Gaston Bachelard
hineininterpretieren als die Opposition der Grundelementen Feuer und Wasser.
(Hier tritt eine andere mythische Galatea hervor – die Nereid). Zuletzt ist die
Quintessenz, (nicht Allegorie!), die dem Plotin’schen Vergleich mit den
ägyptischen Hieroglyphen entspricht, die „Symbolhaftigkeit des Bildes, reich an
Leben und unerschöpflicher Bedeutungsvielfalt". Die Dekodierung liegt in der
Hand des Lesers (des Rezipienten, des Adressaten usw.) …
Für alle Liebhaber „hochgradiger"
intellektueller Prosa, die das Haar in der Suppe suchen: als
gerechtfertigt erscheint mir die Bemerkung über die übertriebene Retardation
des Sujets, die viel zu große Anzahl der verschiedenen Formen der Wiederholung
(die nicht immer einen stilistischen Effekt haben) und seine Inertität. Dieses
Werk sollte unbedingt in einer viel besseren Redaktion, in einem soliden Verlag
erneut herausgegeben werden, der über eine Tradition in der Herausgabe solcher
Werke verfügt, in einer viel besseren Redaktion. Doch all diese Mängel werden
durch die Meisterhaftigkeit der Darstellung der künstlerischen Details
kompensiert, die zu Bildermotiven, Mythen, Symbolen und Archetypen werden,
durch den Kinematographismus, der den Autor Ingmar Bergman ins Gedächtnis ruft, durch die Stereoskopie der assoziativen Reihen und
durch die Musikalität und Rhythmisierung der einzelnen Abschnitte. Letztlich
einfach nur durch das synästhetische Überfließen des Klanges in die Farbe, und
die Bewegung, in den Geruch, nebst dem Kreislauf der Materie und der Symbolik
des Ideellen. „Metamorphose"? Metempsychose?
Kurz gesagt, wir haben es mit einem der
interessantesten intellektuellen Romane des vergangenen Jahres zu tun und damit
mit einem der ersten wirklich nach europäischer Art symbolischen Romane der
ukrainischen Literatur, der den aktuellsten Tendenzen der Mythologisierung der
Kunst entspricht.
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