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Dmytro Tschystjak Rückkehr des intellektuellen Symbolismus?
[ ] 19.05.2010, 15:54

Dmytro Tschystjak (Übersetzer für die französische Sprache, Träger der Förderpreises für Literatur, die von den französischen und kanadischen Botschaften in der Ukraine gestiftet werden) 

Rückkehr des intellektuellen Symbolismus? 

 „Galateas Garten". Die Fabel des Werks ist scheinbar unkompliziert. Assar Janson war in Zeiten der deutschen Besatzung ein Kolaborationist und später Deutschlehrer an einem Gymnasium in Riga. Durch Anspielungen seiner Pflegerin, Schwester Irma und den Selbstmordes seiner Lebensfreundin und Nachbarin im Altersheim, Martha Johansson, zur Verzweiflung getrieben, zündet er dieses an und findet sich im Gefängnis wieder. Die Komposition des Romans bilden dialogische Vernehmungen des Gefangenen durch den Ermittler, der Alltag im Gefängnis von Assars Perspektive aus, vor allem aber die Erinnerungen des Helden von der Kindheit an bis hin zum grauen Alter. Diese erzählen von den Schrecken des Krieges und einem „Aufenthalt in der Hölle" – dem Sommer (keinesfalls im Stil von Arthur Rimbaud), welchen er mit Martha auf einem Bauernhof, genauer gesagt in einem Garten, nicht weit von Riga entfernt, verbracht hat.  Hinter dieser Fabel aber, die durch die Natur des Konflikts und ungewöhnliche Toppen verwundert, entwickelt sich nicht nur eine interessante Kollision. Hinter der Geschichte Assars, eines vom Kriegstraumata gezeichneten „überflüssigen Menschen", verbirgt sich eine Verachtung gegenüber der Welt, den Menschen und der Fortpflanzung. Sie beschreibt die Unfähigkeit Seelenliebe zu empfinden und die Neigung zu sinnlichen Liebe und bringt den Autor den nach Ideen suchenden Schriftstellern und Philosophen des Existentialismus näher. (In nicht-religiöser Ausrichtung, vor allem mit dem Thema der Kunst in „Der Ekel" von Jean-Paul  Sartre und den Motiven der Liebe in « Der Fremde » von Albert Camus.) Der Mensch ist also: lebender Toter, (dargestellt in Gestalt der Gestapo), Blinder (nicht umsonst werden im Text „Die Blinden" von Maurice Maeterlinck erwähnt), der Konformist-Philister (Schwester Irma, der Ermittler am Anfang des Romans), Opfer (des Krieges, des menschlichen Aberglaubens, der inneren Gegensätze), der nur vereinzelt Aufständischer, der nach Freiheit strebt (Assar), oder natürlicher Harmonie (Martha, Pastor Anssis). Die klassische Kollision des psychologischen Dramas, in bester Tradition von Olga Kobyljanska, Stefan Zweig, Virginia Wulf, Max Frisch… Dabei ist zu beobachten: Der Dokumentalismus, der der Meister des Naturalismus würdig ist, die von den Impressionisten geehrte Suggestivität des „Seelenbildes", den modernistischen Bewusstseinsfluss und die transzendentale Objektivität (E. Husserl). So eine Dichte von Einflüssen spricht für die Belesenheit des Autors, für seine Neigung zu postmoderner Synthese, mit ihrer Intellektualisation, Neomythos und einer Vielzahl an Intertexten und derer Kontaminationen. All dies verdient ein vertieftes Lesen von Seiten des Rezipienten. 

Versuchen wir mal die Essenz der Poetik von „Galateas Garten" zu formulieren. Meiner Meinung nach bildet der mythologische Symbolismus die Grundlage des Werks, welches somit in der europäischen Tendenz zu Re-Mythologisierung der Literatur liegt. Neben den aktuellen Autoren (der Autor ist vertraut mit der Norvegin Herbjørg Wassmu, der Österreicherin Elfriede Jelinek, dem Briten Ian McEwan und mit der Türkin Leyla Erbil…), spielen nicht zuletzt die Einflüsse des silbernen Alters, vor allem die Prosa von Zinaida Gippius, Dmitri Mereschkowski und Andrej Bely, die Philosophie „des Willens zum Leben" von Arthur Schopenhauer und die intuitive Erkennung von Henri Bergson eine Rolle. Es versteht sich von selbst, dass die Aufzählung der Namen bei weitem nicht vollständig ist und niemals ausgeschöpft sein wird. Beim Lesen von „Galateas Garten" überzeugt man sich nochmals in der Vorhersehbarkeit der Beobachtungen von Roland Barthes, über die Ewigkeit der symbolischen Energie eines Textes während seiner Entstehung. 

Wie gesagt, gerade die synkretistische Betrachtung der Probleme auf unterschiedlichen Stufen der Verallgemeinerung weckt Zweifel, gleichberechtigt aber auch gleichzeitig die verschiedensten Ideen künstlerischer Richtungen und der Lebensphilosophien und hebt ethische Grundsätze auf. Die Symbolik des Werkes ist inspiriert von der Auflösung des Mikrokosmos im Makrokosmos und beschreibt umgekehrt – dank des Übergangs der profanen Zeit in die sakrale Zeit – eine Zeit des Gartens, (Garten Edens, des Himmels und der Erde, des Kosmoszentrums im Menschen und des Weltalls). Allerdings ist der Mensch aus diesem goldenen Alter herausgefallen, er ist nicht im Stande, sich der vergeistigten Natur anzugleichen. Seine Seele ist wie ein Vogel, der bis ans Lebensende im Käfig des Körpers gefangen ist (wie soll man sich nicht an „Der Weg und die Schwalbe" von Mykola Hwyljowy erinnern?), und die Sünden des apokalyptischen Zeitalters hindern ihn daran, sich selbst im vollen Umfang zu erkennen – und aufzuerstehen.

Der Mensch – nach Gottesebenbild geformt, (wie die von Pygmalion geformte Afrodita – Galatea) bleibt einfach nur schöner Lehm, weil ihm das hohe Göttliche verwehrt bleibt. Hierin liegt der bittere Sarkasmus des Autors. Ebenfalls ambivalent ist der Begriff des Göttlichen - Nietzsches „Gott ist Tod!" (und der beispielhafte Selbstmord des Pastor Anssis) und Pantheismus (oder Heidentum) koexistieren im Roman. Das Göttliche kann man in Assar und Martha durch das Konzept von Gaston Bachelard  hineininterpretieren als die Opposition der Grundelementen Feuer und Wasser. (Hier tritt eine andere mythische Galatea hervor – die Nereid). Zuletzt ist die Quintessenz, (nicht Allegorie!), die dem Plotin’schen Vergleich mit den ägyptischen Hieroglyphen entspricht, die „Symbolhaftigkeit des Bildes, reich an Leben und unerschöpflicher Bedeutungsvielfalt". Die Dekodierung liegt in der Hand des Lesers (des Rezipienten, des Adressaten usw.) …

Für alle Liebhaber „hochgradiger" intellektueller Prosa, die das Haar in der Suppe     suchen: als gerechtfertigt erscheint mir die Bemerkung über die übertriebene Retardation des  Sujets, die viel zu große Anzahl der verschiedenen Formen der Wiederholung (die nicht immer einen stilistischen Effekt haben) und seine Inertität. Dieses Werk sollte unbedingt in einer viel besseren Redaktion, in einem soliden Verlag erneut herausgegeben werden, der über eine Tradition in der Herausgabe solcher Werke verfügt, in einer viel besseren Redaktion. Doch all diese Mängel werden durch die Meisterhaftigkeit der Darstellung der künstlerischen Details kompensiert, die zu Bildermotiven, Mythen, Symbolen und Archetypen werden, durch den Kinematographismus, der den Autor Ingmar Bergman  ins Gedächtnis ruft, durch die Stereoskopie der assoziativen Reihen und durch die Musikalität und Rhythmisierung der einzelnen Abschnitte. Letztlich einfach nur durch das synästhetische Überfließen des Klanges in die Farbe, und die Bewegung, in den Geruch, nebst dem Kreislauf der Materie und der Symbolik des Ideellen. „Metamorphose"? Metempsychose? 

Kurz gesagt, wir haben es mit einem der interessantesten intellektuellen Romane des vergangenen Jahres zu tun und damit mit einem der ersten wirklich nach europäischer Art symbolischen Romane der ukrainischen Literatur, der den aktuellsten Tendenzen der Mythologisierung der Kunst entspricht.

 

 

Категорія: My files | Додав: guk-ukr-lit
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